vorromanisch
Asturische Vorromanik
Von der Welt wenig beachtet träumt in den Bergen Nordspaniens eine Architektur, die ebenso alt ist wie die karolingische. Diese Baukunst schuf eine Dynastie, die früher gegründet wurde und länger Bestand hatte als das Reich Karls des Großen.
Geschichtliches
Um die Architektur zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte angesagt ohne deren Kenntnis sich viele künstlerische Strömungen ohnehin nicht erschließen.
„Schuld“ sind die islamische Expansion und Tariq ibn Ziyad, der 711 mit einem Heer aus Berbern und Arabern die Straße von Gibraltar überquerte und nach der Schlacht am Rio Guadalete das seit etwa 300 Jahren bestehende Westgotenreich mit der Hauptstadt Toledo vernichtete. Dynastische Streitigkeiten der dünnen westgotischen Oberschicht erleichterten den Invasoren die Eroberung.
Westgotische Herrschaft blieb eine Weile im Osten (Roussillon und Katalonien) bestehen, aber es waren die Berge des Nordens in denen Reste des geschlagenen Heeres unter westgotischen Adligen den Widerstand organisierten. Schon 718 wurde Pelagius Führer des ersten christlichen Ministaates auf der vom Islam beherrschten iberischen Halbinsel.
Unter seinen Nachfolgern entwickelte sich erfolgreich das Königreich Asturien, das seine westgotischen Wurzeln nicht vergaß und lange das wichtigste der christlichen Herrschaftsgebiete blieb. Das erste siegreiche Gefecht 722 bei Covadonga wird von den Spaniern als Beginn der Reconquista gesehen, die bis 1492 andauern sollte.
Tüchtige Herrscher sicherten den Staat und bauten ihn weiter aus, wie
- Alfonso I. (739-57), der Katholische – vertrieb die Berber aus Galizien
- Alfonso II. (791-842) – Der Keusche, gründete Oviedo, schuf ein Verteidigungssystem südlich des Kantabrischen Gebirges, kämpfte gegen die Mauren. Die Kunde vom Jakobsgrab kam auf. Es entstanden Steinmetzwerkstätten und Ziegelproduktion
- Ramiro I. (842-50) Blüte asturischer Baukunst. Errichtete am Berg Naranco in Oviedo die Kirche San Miguel de Lillo sowie einen Sommerpalast, später zur Kirche Santa Maria geweiht, wehrte Wikinger und Mauren ab.
- Ordono I. (850-66) wehrte Wikinger ab, setzte Expansion im Süden und Wiederbesiedlung fort
- Alfons III. (866-910) Der Große (Alfonso III.) berief sich bei seinen Siegen auf die Hilfe des Apostels Jacobus – war kurz davor, das Emirat von Córdoba zu besiegen. Große Gebietsgewinne. Befestigte Duero-Linie, Schuf neue Hauptstadt León.
Einige waren Kunstförderer (Goldschmiedearbeiten) und veranlaßten die Errichtung wichtiger Bauten.
Die asturische Vorromanik
So entstand ab der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts die asturische Baukunst, deren ältestes erhaltenes Beispiel die Kirche San Juan Evangelista de Santianes ist, das jüngste San Salvador de Priesca, Anfang des 10. Jahrhunderts geweiht.
Ich war kürzlich in der Region und habe die meisten Bauten besichtigen und fotografieren können.


Dreischiffige Pfeilerbasilika,Empore im Westen, Wandmalereien, als Pfarrkirche genutzt
Zwischen diesen Kirchen liegen rund 150 Jahre und doch zählen die Kunsthistoriker sie zum gleichen Baustil.


WELTKULTURERBE
San Miguel de Liño (Weihe 848), unter Ramiro I. erbaut. Nur noch Westteil erhalten (Vorhalle mit Empore und Nebenräumen plus 1 Joch des Langhauses). Wegen Restaurierung total unzugänglich. Kein Foto.
Weltkulturerbe

Unter Ramiro I. erbaut, ursprünglich Sommerpalast, dann geweiht, einschiffiges Obergeschoss mit Gurttonne, abgeleitet von germanischen Königshallen, Untergeschoss mit Gurttonne, reicher Bauschmuck, prächtigstes Beispiel asturischer Frühromanik.
WELTKULTURERBE

WELTKULTURERBE

Nicht besucht habe ich die unter Alfons II. gebaute Cámera Santa, die in die Kathedrale von Oviedo integriert ist. Sie ist zweigeschossig, enthält wertvolle Schmuckstücke und auch Reliquien. Sowohl die Krypta als auch die obere Michaelskapelle sind mit Tonnen gewölbt, wobei nur das untere Gewölbe aus der Erbauungszeit stammt.
WELTKULTURERBE.
Die insgesamt etwa zehn in und um Oviedo erhaltenen Bauwerke haben viele gemeinsame Merkmale. Aber sie lassen auch Entwicklungslinien erkennen, beginnend mit tastenden Anfängen in Santianes, über deutliche Bezüge zu westgotischem Bauen, der Entwicklung eigener Stilmerkmale bis hin zur Übernahme karolingischer Elemente.
Der westgotische Einfluß
Prä-Romanische asturische Kirchen haben mit wenigen Ausnahmen (Santa Christina de Lena und Santa Maria del Naranco) basikalen Grundriß mit 3 Schiffen. Dieser klassische römische Bautypus wurde von den Westgoten übernommen. In der Regel folgt im Osten ein 3-teiliger Chor.
Auch die gelegentlich anzutreffenden Querhäuser finden sich in westgotischer Baukunst.

Dann ist da der seltsame Brauch, über dem Chor einen unzugänglichen Raum (cámera oculta) zu bauen, der bei den asturischen Kirchen nur eine Verbindung nach außen durch Zwillings- oder Drillingsfenster hat. Diese verborgene Kammer gab es vorher in westgotischen Bauten aber auch in mozarabischen. Der Sinn ist nicht erforscht, sagen die meisten Experten, doch gibt Barral i Altet in „Frühes Mittelalter“ einen Hinweis, der zum Nachdenken anregen sollte: Eremiten in extremer Klausur könnten hier gehaust haben, inmitten des normalen Klosterlebens. Eine ähnliche Vermutung gibt es hinsichtlich der Zellen in Santa Maria, Quintanilla de las Viñas. Wäre das so, könnte man einen Bogen spannen von den Wüsten-Eremiten des 4. Jh., über irische Einsiedler-Mönche des 5./6. Jh., diese cámaras ocultas bis zu den Kartäusern ab 11. Jh.. Gewagt, aber möglich.

Die Westgoten kannten und verwendeten Tonnengewölbe schon um 600. Sie wurden, oft als Gurttonnen, auch in asturischen Bauten eingesetzt.
Der in westgotischen Kirchen häufig verwendete Hufeisenbogen kommt in asturischen Bauten selten vor, obwohl dieser oft als arabische Erfindung betrachtete Bogen von den Westgoten schon vor 550, also weit vor der arabischen Invasion eingesetzt wurde. In Valdediós erscheint er erstmals wieder mit Alfiz-Rahmen. Untermann meint, daß mozarabische Steinmetze hier tätig waren.
Die schon aus der Antike bekannten Transennen (Fensterplatten) wurden übernommen und als Fensterverkleidungen und Chorschranken eingesetzt.


Korinthisierende Kapitelle, die schon westgotische Kirchen schmückten, sind in fast allen asturischen Bauten anzutreffen, mehr oder weniger stilisiert.


Westgotische Kirchen und auch die asturischen trugen nur Glockenstühle (Der Turm neben San Pedro de Nora ist 20. Jh.)
Und schließlich führten die Asturier die Verwendung von Chorschranken fort. Viele sind verschwunden oder in den Museen. In Santa Christina de Lena ist eine teilweise westgotische Abschrankung vor Ort geblieben.

Eigene Stilmerkmale
Zunächst fällt auf, daß die asturischen Bauleute den anspruchsvollen mörtellosen Großquaderbau der Westgoten aufgegeben haben, wie ihn Santa Maria, Quintanilla de las Viñas (~700) zeigt. Wenn auch später, z.B. beim Sommerpalast am Berg Naranco, die Steine viel sorgfältiger bearbeitet wurden als in San Julián de los Prados, so ist der Unterschied eklatant. Entweder waren die Fertigkeiten verloren gegangen oder die Asturier scheuten den Aufwand. Jedenfalls bauten sie mit mehr oder weniger großen Bruchsteinen im Mörtelbett.


Im Osten der Kirchen gaben die Asturier die bei den Westgoten nicht seltenen halbrunden Apsiden auf und wählten einen geraden Abschluß für den Chor, wie wir ihn auch bei den angelsächsischen und normannischen Kirchen Englands finden.

Die zahlreichen Strebepfeiler sind oft der Ästhetik und nicht statischer Notwendigkeit geschuldet. Die Meister verwendeten sie zur Gliederung des Baukörpers, wie in Santa Christina de Lena.

Hervorstechend ist die häufige Verwendung von Backsteinen. Nach Untermann soll in der Mitte des 9. Jh. nicht nur eine neue Steinmetzwerkstatt, sondern auch eine Ziegelbrennerei gegründet worden sein. Mit dem Abzug der Römer war die Kunst des Ziegelbrennens wohl untergegangen, wie auch in Deutschland. Dort ließ der Biograf Karls des Großen Anfang des 9. Jh. für seine Einhard-Basilika in Michelstadt-Steinbach Ziegel, von allerdings schlechter Qualität, brennen.
In Verbindung mit dem Naturstein wirken die Steine als dekorative Elemente.


Auffallend sind auch Friese aus Dachziegeln unterhalb der Traufe, die die Dachbedeckung mit Mönch und Nonne imitieren.

Auf dem Höhepunkt der Stilepoche entsteht reicher Bauschmuck. Der ehemalige Sommerpalast des Königs Ramiro ist ein herausragendes Beispiel. Es fallen viele Medaillons auf und Tatzenkreuze, – die auch die Westgoten schon verwandten – Säulen, Säulenpaare und Säulengruppen mit gegenläufigen eingekerbten Windungen, doppelte Schmuckbänder und natürlich viele Kapitelle, teilweise mit Tauband.


Haupt weist unermüdlich auf Ähnlichkeiten des Steinbaus mit dem Holzbau hin, und glaubt zu seiner Zeit (Beginn des 20. Jh.) noch Rundbogenfriese an original erhaltenen Dachbalken in San Julián de los Padros, (Santullano) gefunden zu haben. Gesimse in San Salvador de Valdediós und Santa Maria del Naranco führt er auf Vorbilder des Holzbaus zurück, ebenso die Doppelsäulen am Portal von Santa Christina de Lena.

Maurischer Bauschmuck wird von der asturischen Dynastie in Oviedo weitgehend vermieden, verständlich bei der politischen und religiösen Gegnerschaft. So verwendete asturische Architektur dieser Epoche prinzipiell den Hufeisenbogen nicht mehr.
Anfang des 10. Jh. jedoch, wenn auch im Süden des Königreiches, entstanden wunderbare Kirchen im mozarabischen Stil, von christlichen Zuwanderern aus dem arabisch besetzten Gebiet erbaut, wie San Miguel de Escalada (León).
Ähnlichkeiten mit karolingischem und ottonischem Bauen
Auf karolingische Einflüsse weist u.a. Renate Wagner-Rieger hin. Bemerkenswert sind die Westemporen, z. B. in San Miguel de Lillo, (Barral i Altet) Santa Christina de Lena, San Salvador de Valdediós und San Salvador de Priesca.

Im 9. Jahrhundert beginnt man in Asturien damit, Kirchen mit Wandmalereien zu schmücken, wie in San Julián de los Padros, San Salvador de Valdedíos und San Salvador de Priesca. In den beiden ersteren (vor allem Scheinarchitektur und geometrische Formen) war das Fotografieren verboten.


Besonders die Wandmalerei in Santullano (9. Jh.) wird von Pere de Palol in „Geschichte der Spanischen Kunst“ hoch gelobt. Er bringt sie in Verbindung mit der Klosterkirche von St. Johann in Müstair (CH), deren karolingische Wandmalereien aus dem gleichen Jahrhundert sind. Ich habe auch Müstair besucht und finde, daß die asturischen Bilder, zweifellos ganz wichtige Werke der Epoche, den karolingischen in Müstair hinsichtlich Bildinhalt, Farbigkeit und Lebendigkeit unterlegen sind.
Mit der Ottonik gemeinsam haben die hier besprochenen Bauten die Begrenzung auf ein bestimmtes Gebiet und die enge Bindung an eine Dynastie.
Nach Pere de Palol hat sich über der Cámera Santa (Um 800) schon eine Michaelskapelle befunden. Ein Vorgänger ähnlicher Kapellen in Ottonik (Sankt Pantaleon) und Romanik?
Die kurze Reise hat mich darin bestärkt, daß die asturische Vorromanik, zusammen mit der Ottonik, ein wichtiger regionaler Baustil ist. Sie bereiteten, zusammen mit anderen, der Romanik den Weg, die sich über ganz Europa ausbreitete und ihrerseits regionale Formensprachen schuf.
Literatur
Bandmann, Günter, Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Gebr. Mann-Verlag, Berlin, 1994, (S. 65ff., 72f., 76f. und 199ff.)
Barral i Altet, Xavier: Von der Spätantike bis zum Jahr 1000, in: Frühes Mittelalter, Henri Stierlin (Hrsg.), Köln, Benedikt-Taschen-Verlag, 1997 (S.100ff., S.194ff.)
Barral i Altet, Xavier: Präromanische und romanische Kunst, in: Die Geschichte der Spanischen Kunst, Xavier Barral i Altet (Hrsg.), Könemann Verlagsgesellschaft mbH., 1997 (S. 83 ff)
Barral i Altet, Xavier: Spätantike bis Mittelalter, in: Skulptur, Georges Duby/Jean-Luc Daval (Hrsg.), Köln, Benedikt-Taschen-Verlag, 1999 (S. 259)
Grodecki, Louis und Wagner, Eva-Maria, Vorromanische Kunst und ihre Wurzeln, Harald Busch und Bernd Lohse (Hrsg.), Umschauverlag Frankfurt am Main, 1967
Haupt, Albrecht: Kunst und Baukunst der Germanen, Leipzig, Reprint-Verlag, Holzminden Volker Hennig, Reprint der Originalausgabe von 1909
Pere de Palol: Die westgotische Welt, in: Die Geschichte der Spanischen Kunst, Xavier Barral i Altet (Hrsg.), Könemann Verlagsgesellschaft mbH., 1997 (S. 59 ff.)
Wagner-Rieger, Renate, Architektur, in: Das Mittelalter I, Propyläen-Kunstgeschichte, Berlin, Propyläen-Verlag, 1990 (S.173)
Untermann, Mathias: Architektur im Frühen Mittelalter, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 - (S. 27ff., 65ff., 83f. und S. 124ff.)
Grodecki, Louis und Wagner, Eva-Maria, Vorromanische Kunst und ihre Wurzeln, Harald Busch und Bernd Lohse (Hrsg.), Umschauverlag Frankfurt am Main, 1967
Lexika
History of the Christian States, 711-1035, Britannica 2001 Deluxe Edition, CD-Rom
Internet
Die vorromanische Kunst in Asturien - die architektonische Avantgarde der Epoche Offizielles Tourismus-Portal Asturiens Diverse Wikipedia-Dokumente
Vortrag
Beutler, Werner, Die religiösen Orden und ihre Bedeutung für die Geschichte Europas, VHS Siegburg, März 1996