Romanik
Saint-Michel de Cuxa
Seit über 50 Jahren füllen zauberhafte Klänge eine Klosterkirche in den Pyrenäen. Auf dem Weg hinein streben Musiker und Gäste vorbei an den Masken, Molochen und Mischwesen des Kreuzgangs. Der heilige Berg der Katalanen blickt auf sie herab wie vor 1000 Jahren auf die Bauhandwerker, die mit dem Bau dieser Mauern an die Schwelle der Romanik stießen.
Im Grenzland zwischen Spanien und Frankreich beherbergt die lang gestreckte Anlage einmal im Jahr das Kammermusikfestival Pau Casals, vom Cellisten selbst 1950 im Exil gegründet.
Geschichte
Aus einer kleinen Mönchsgruppe, die sich Ende des 9. Jahrhunderts in der fruchtbaren Ebene niederließ, war um das Jahr 1000 dank der Unterstützung der Grafen der Cerdagne ein wohlhabendes und einflußreiches Kloster hervorgegangen. Abt Garin, der 50 Mönchen vorstand, kam aus Cluny und leitete im Roussillon fünf Abteien.
Wo heute Touristen auf Bildungsreise einfallen, beteten dank Garins internationaler Verbindungen der Hl. Romuald, Gründer des Kamaldulenserordens und Gerbert d’Aurillac, der spätere Papst Silvester II.
Pietro Orseolo, ein Doge der mächtigen Republik Venedig, verbrachte nach seiner Abdankung den Lebensabend hier.
In der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts wurde das Kloster ausgebaut. Es wuchsen unter anderem die 40 m hohen Türme an beiden Enden des Querhauses empor. Der nördliche stürzte im 19. Jh. ein.
In der Mitte des 12. Jahrhunderts schufen Mönche und Bildhauer einen in jeder Hinsicht großen Kreuzgang. 400 Jahre später wurde die Kirche "modernisiert".
Dann erlitt die Abtei das gleiche Schicksal wie viele andere Klöster: Mangel an Disziplin, Egoismus, Verwahrlosung. Die Französische Revolution besorgte den Rest. Gebäude wurden abgerissen oder beschädigt. Habgier plünderte den Kreuzgang.
Aber im 20. Jahrhundert kamen die Restauratoren, zuletzt 1970. Mönchisches Leben kehrte zurück. Als Nachfolger von Zisterziensern arbeiten und beten seit 1965 Benediktiner hier.
Architektur
956 legte Abt Pons den Grundstein zum imposanten aber außen schmucklosen Bau, der nach einer Teil-Weihe im Jahre 975 erst im 11. Jh. fertig gestellt wurde. Nur der erhaltene Turm zeigt klassisch romanisch/lombardische Schmuckelemente wie Blendarkaden und Rundbogenfriese. Seine sauber behauenen Quader heben sich deutlich vom roh gefügten Bruchsteinmauerwerk des Langhauses aus dem 10. Jh. ab.
Unter anderem deshalb ist der Bau architekturhistorisch interessant. Er ist Zeuge eines Übergangs: Von vorromanischer Architektur zur mediterranen Frühromanik.
Das Innere der Basilika mit ausladendem Querhaus vermittelt widersprüchliche Eindrücke. Rohes Bruchsteinmauerwerk mutet archaisch an. Die Tonnengewölbe der Seitenschiffe sind ohne Gurtbögen. Aber Hufeisenbogen, bis zum 16. Jh. auch an Langhaus-Arkaden und Obergaden-Fenstern, lassen an maurische Kunst denken.
Maurische Baukunst? Da fühlte ich mich an die kleine mozarabische Kirche San Miguel de Escalada (geweiht 913) in der spanischen Provinz León erinnert. Und doch, der Unterschied könnte größer kaum sein. Dort beschwingte Eleganz der schlanken Säulen, hier klobige Pfeiler aus primitivem Mauerwerk.
Also nichts Maurisches? Was dann? Hufeisenbogen verwendeten schon die Westgoten, ehe 711 ihr Reich von den Mauren erobert wurde.
Arkaden mit Hufeisenbogen in San Miguel de Escalada
Ein Problem für die Kunsthistoriker also. Durliat beschreibt ausführlich ihre Forschungen. Ergebnis: Man müsse in Cuxa wohl von westgotischen Traditionen ausgehen.
Noch ein Vergleich drängte sich mir auf, der mit der Stiftskirche St. Cyriakus in Gernrode, deren Bau 960 begonnen wurde. Selbst bezogen auf den dortigen Ursprungsbau und die aufwendigen Restaurierungen außer Acht lassend, sind die Unterschiede groß.
Das Mauerwerk des nördlichen Westturms aus dem 10. Jh. in Gernrode besteht aus sorgfältig behauenen Blöcken, das des Langhauses aus gleicher Zeit in Cuxa aus unregelmäßig geschichteten Bruchsteinen, um nur dieses zu erwähnen. Da ist es schade, daß sich die Herkunft der Bauhandwerker laut Conrad in der Regel nicht nachweisen läßt. Zwischen Fremden, z.B. Lombarden, mit oder ohne lokalen Hilfskräften, oder nur Einheimischen ist kaum je zu unterscheiden. Ich neige zu der Annahme, daß auswärtige Bauhandwerker im 10. Jh. nicht in Cuxa auf dem Gerüst standen.
Zur Ehre unseres Baues sei aber erwähnt, daß er sehr wohl geschmückt war, mit Wandmalereien und einer Orgel-Empore zum Beispiel.
Das heutige Gebälk des Mittelschiffes ist eine Rekonstruktion des Zustandes im 15. Jh. Ursprünglich schloß eine flache Holzdecke den Raum nach oben ab. Die in einem solchen Bau deplaziert wirkenden Kreuzrippen der Apsis sind im 14. Jh. entstanden.
Im Ostteil ist die Situation wegen späterer Anbauten und Zerstörungen schwierig. Dem Querschiff des Ursprungsbaues waren im Osten auf jeder Seite der Apsis mit plattem Abschluß zwei runde Apsidiolen angefügt, von denen drei erhalten sind.
Einer der Nachfolger des Weltmannes Garin war Oliba, Graf der Cerdagne und entsprechend wohlhabend. Das galt auch für die Abtei, die über 18 Dörfer geherrscht haben soll.
Er ließ die Klosteranlage weiter ausbauen. Rund um die Apsis entstand ein rechteckiger Umgang, dem nach Osten noch einmal drei Apsidiolen vorgelagert waren von denen nur die nördliche und südliche erhalten blieben.
Die wichtigste Erweiterung in dieser Zeit aber war ein Zentralbau im Westen der Kirche. Er bestand aus einer erhaltenen Rundkrypta mit 9 m Durchmesser, der Jungfrau Maria geweiht, unter einer quadratischen Dreifaltigkeitskapelle, die zerstört wurde. Bei mir hinterließ der Besuch der urigen Krypta mit dem gewaltigen Mittelpfeiler - Durchmesser 1.80 m – einen tiefen Eindruck.
Der Kreuzgang
Um 1150 erweiterte der kunstfreudige Abt Gregor das Kloster um einen Kreuzgang, der Vorbild für andere in der Region wurde. Durliat sieht ihn als "Geburtsstunde der romanischen Skulptur im Roussillon". Das Besondere: Der rosafarbene Marmor von Villefranche, aus dem zwei Meister die Kapitelle meißelten.
Heute stehen wir vor Fragmenten. Nicht natürlicher Verfall war der größte Feind, sondern Geldgier und Rücksichtslosigkeit. Immerhin, wer will, kann große Teile in New York besichtigen.
In Cuxa aber beeindrucken selbst die Reste. Wir bewundern die Vielzahl der Motive und ihre Umsetzung in Stein. Eingerahmt von Pflanzenmotiven blicken uns Masken und Monster an. Löwen in allen Positionen kämpfen gegeneinander oder gegen Fabelwesen. Christliche Themen sind dagegen selten.
Cuxa war für mich der Beginn einer Reihe von Klosterbesichtigungen im Roussillon, eine interessanter als die andere.
Literatur
Barral i Altet, Xavier, Von der Spätantike bis zum Jahr 1000, in: Frühes Mittelalter, Stierlin, Henri (Hrsg.), Benedikt-Taschen-Verlag, Köln, 1997
Barral i Altet, Xavier, Romanik, Städte, Klöster und Kathedralen, Stierlin, Henri (Hrsg.), Taschens Weltarchitektur, Benedikt-Taschen-Verlag GmbH, Köln, 1998
Carron-Touchard, Romanische Kreuzgänge in Frankreich, Echter-Verlag, Würzburg, 1986
Conrad, Dietrich/Mertens, Klaus, Kirchenbau im Mittelalter, Edition Leipzig, 1990, 3. Auflage 1998
Duby, Georges/Daval, Jean-Luc, Skulptur, Von der Antike bis zum Mittelalter, Benedikt Taschen-Verlag, Köln, 1999
Durliat, Marcel, Romanisches Roussillon, Echter Verlag, Würzburg, 1988Koch, Wilfried, Baustilkunde, Sakralbau, Gütersloh, Bertelsmann Lexikon-Verlag, 1993
Koch, Wilfried, Baustilkunde, Sakralbau, Gütersloh, Bertelsmann Lexikon-Verlag, 1993
Laule, Ulrike, Architektur des Mittelalters, in: Rolf Toman (Hrsg.), Berlin, Feierabend-Verlag, 2004
Vortrag
Glöckner OP, P. Richard, Gott, Welt und Mensch im Spiegelbild der romanischen Kunst, Karl-Rahner-Akademie, November 2008
Eigene Beobachtungen